Donnerstag, 6. November 2014

Als geheime "Neue Weltordnung" verfälscht: Die Obama-Rede in Brüssel am 26.März 2014


Wie Verschwörtungstheoretiker Aussagen des US-Präsidenten zerstückelt haben

Eine Rede von Barack Obama aus diesem Jahr ist aktuell Gegenstand verschwörungstheorischer Berichte im Internet. 
Am 26.März 2014 hielt der US-Präsident eine Rede an die "europäische Jugend" im Brüsseler Palais des Beaux Arts. Darin bezog er sich auf die Herausforderungen der Vergangenheit und der Gegenwart in Europa und der Welt. Auf diversen Internetseiten wurde diese Rede als eindeutiger Beweis gewertet, dass der US-Präsident und seine Hintermänner eine neue Weltordnung anstrebten: "Obama will neue Weltordnung schon 2014" liest man auf der neopresse.com. Dieser Eintrag ist deshalb von Bedeutung, da andere deutschsprachige Seiten sich in einschlägigen Angaben auf sie beziehen. Auf mehreren Blogs wurde die Meldung geteilt. (1)

Im Folgenden soll eine kurze Gegenüberstellung erfolgen: Das Originalskript der Rede, veröffentlicht vom Weißen Haus am betreffenden Tag, wird mit den Hinweisen der bei Google erstgelisteten Internetseiten verglichen. 

Als Schlüsselstelle der Worte Obamas zitiert neopresse.com:

 „And for the International Order (New World Order) that we have worked for generations to build, ordinary men and women are too small minded to govern their own affairs. Order and progress can only come when individuals surrender their rights to an all powerful sovereign. 


["... die internationale Ordnung, an der wir seit Generationen arbeiten um sie aufzubauen. Gewöhnliche Frauen und Männer sind zu kleingeistig, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Diese Ordnung kommt nur voran, wenn Einzelne ihre Rechte an einen allmächtigen Souverän abgeben..."] ((2)

Auf der Domäne zombiewoodproductions.com wird verbreitet: 

Er sprach von einer „internationalen Ordnung, an der wir seit Generationen arbeiten, um diese aufzubauen.“ Hier ist offensichtlich die US-dominierte neue Weltordnung gemeint, wobei Obama ganz offen zugibt, dass Seinesgleichen schon seit Generationen daran arbeiten. Im Klartext bedeutet dies, dass wir es hier mit einer von langer Hand geplanten Agenda zu tun haben.

Bereits das Zitat im Post der neopresse wirft Satzteile zusammen, die nicht der echten Reihenfolge entsprechen. Zombiewood Productions differenziert mehr, gibt sogar zu dass "(..) der letzte Teilsatz oft aus dem Zusammenhang gerissen" werde. Hier wird der konkrete Satz über die "neue Weltordnung" von der zweiten Aussage getrennt. Der Verfasser löst aber letztere ebenfalls aus ihrem Zusammenhang, indem die vorausgehende Satzaussage im Dunkeln bleibt:

„Diese Ideale wurden oft bedroht von einer älteren, traditionellen Auffassung von Macht. Diese alternative Vision argumentiert, dass gewöhnliche Männer und Frauen zu kleingeistig sind, um ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, dass Ordnung und Fortschritt nur entstehen kann, wenn Individuen ihre Rechte an einen allmächtigen Herrschers abgeben.“ (3)

Das Originaldokument des Weißen Hauses dokumentiert dagegen beide Satzteile in ihrem Zusammenhang. So gesehen, ergeben sie eine ganz andere Botschaft:

PRESIDENT OBAMA:  Thank you so much.  Thank you.  (Applause.)  Please, please have a seat.  Good evening.  Goede avond.  Bonsoir.  Guten abend.  (Applause.)  Thank you, Laura, for that remarkable introduction.  Before she came out she told me not to be nervous.  (Laughter.)  And I can only imagine -- I think her father is in the audience, and I can only imagine how proud he is of her.  We're grateful for her work, but she’s also reminding us that our future will be defined by young people like her.
Your Majesties, Mr. Prime Minister, and the people of Belgium -- on behalf of the American people, we are grateful for your friendship.  We stand together as inseparable allies, and I thank you for your wonderful hospitality.  I have to admit it is easy to love a country famous for chocolate and beer.  (Laughter.)   
Leaders and dignitaries of the European Union; representatives of our NATO Alliance; distinguished guests:  We meet here at a moment of testing for Europe and the United States, and for the international order that we have worked for generations to build. (4)
Throughout human history, societies have grappled with fundamental questions of how to organize themselves, the proper relationship between the individual and the state, the best means to resolve inevitable conflicts between states.  And it was here in Europe, through centuries of struggle -- through war and Enlightenment, repression and revolution -- that a particular set of ideals began to emerge:  The belief that through conscience and free will, each of us has the right to live as we choose.  The belief that power is derived from the consent of the governed, and that laws and institutions should be established to protect that understanding.  And those ideas eventually inspired a band of colonialists across an ocean, and they wrote them into the founding documents that still guide America today, including the simple truth that all men -- and women -- are created equal.
But those ideals have also been tested -- here in Europe and around the world.  Those ideals have often been threatened by an older, more traditional view of power.  This alternative vision argues that ordinary men and women are too small-minded to govern their own affairs, that order and progress can only come when individuals surrender their rights to an all-powerful sovereign. (4) Often, this alternative vision roots itself in the notion that by virtue of race or faith or ethnicity, some are inherently superior to others, and that individual identity must be defined by “us” versus “them,” or that national greatness must flow not by what a people stand for, but by what they are against. (4)


Es wird deutlich, dass Obama auf die freiheitlichen Errungenschaften anspielt, welche Europa und Amerika über lange Zeit erreicht wurden. Er spricht davon, dass diese Ordnung aktuell auf eine Probe gestellt werde, und kommt dann auf das Grundprinzip der Beziehung zwischen Staat und einzelnem Bürger zu sprechen. Ein doppelter Sinn ist hieraus nicht abzuleiten.

Sinnvoll und offensichtlich ist die Gesamtaussage über die Abgabe der Rechte von unfähigen Individuen an den allmächtigen Herrscher: Sie bezieht sich auf das Modell der totalitären Diktatur in der Vergangenheit Europas. Der US-Präsident lehnt diese Option klar ab, er weist auf die Bedrohung der westlichen Werte wie Willensfreiheit und Volkssouveränität durch jenen Standpunkt hin.

Letzten Endes sind die verschwörungstheoretischen Aussagen nicht glaubwürdig. Die Autoren argumentieren - was diesen Fall betrifft - rein spekulativ und abstrahieren wo es nur geht. Wirkliche Belege für ihre Argumente fehlen. Vielmehr handelt es sich um Informationen, die aus dem Kontext gerissen und nach eigener Vorstellung wieder zusammengebaut werden. 



Es ist auffällig, wie sehr zahlreiche Verschwörungstheoriker die positiven Werte des Westens ignorieren. Dass ihr eigenes Leben trotz NSA-Überwachung und weiteren Schwachpunkten freiheitlicher ist als das der meisten Menschen auf der Welt, haben sie offenbar aus den Augen verloren. In den Fokus geraten fast ausschließlich negative Ereignisse, mit denen man Aufmerksamkeit zu gewinnen sucht. Sensation lässt sich gerade aus angeblich geheimen Hintergründen ziehen und bringt viele Leser/innen. Sicherlich gibt es auch im Westen Schwachpunkte im System, die die Bürger benachteiligen. Aber was sind die demokratische Beteiligung, das größtenteils friedliche Miteinander oder weitgehende Meinungsfreiheit in Deutschland oder den USA im Verhältnis zu offener staatlicher Willkür oder Menschenrechtsverletzungen? Stattdessen werden die USA und Europa mit Totalitarismus, Unfreiheit, Dekadenz in Verbindung gebracht. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass es Pläne zu einer neuen Weltordnung oder andere übergreifende Absprachen entgegen den Interessen der Bevölkerung gibt. Aber eine so eine Abwertung haben die freiheitlichen Möglichkeiten, die in der westlichen Welt heute jedem offen stehen, nicht verdient. 
Bei der Übernahme verschwörungstheoretischen Aussagen ist große Vorsicht und ständiges Hinterfragen geboten. 




Quellen



(1) exemplarisch: 


http://www.alternative-nachrichten.de/news/obama-will-neue-weltordnung-schon-2014-bilderberg-konferenz-beginnt


http://beforeitsnews.com/alternative/2014/06/clarification-requested-oops-oops-obama-could-he-say-it-any-more-clearly-2980706.html 


http://keltenkrieger3000.wordpress.com/2014/05/29/obama-will-neue-weltordnung-schon-2014-bilderberg-konferenz-beginnt/


http://haunebu7.wordpress.com/2014/05/26/barry-soetero-alias-barack-obama-erklart-die-neue-weltordnung/


(2) 

http://www.neopresse.com/politik/obama-will-neue-weltordnung-schon-2014-bilderberg-konferenz-beginnt/


(3) 

http://zombiewoodproductions.wordpress.com/2014/06/12/obama-spricht-uber-die-neue-weltordnung/


(4) Fettmarkierung eingefügt


(5)

http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2014/03/26/remarks-president-address-european-youth 


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